Alles Gute: Grundgesetz! - Vortrag zu 75 Jahren Grundgesetz
Auf Einladung des Theodor Heuss Museums, des Theodor-Heuss-Freundeskreises in Baden-Württemberg und der Reinhold-Maier-Stiftung stand ein prominenter Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte im Mittelpunkt des Brackenheimer Bürgersaals: das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Die Laudatio auf unsere Verfassung hielt unter dem Titel „Heilige Nüchternheit. Theodor Heuss und die Entstehung des Grundgesetzes“ der Historiker und ehemalige Leiter des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, Prof. Dr. Thomas Schnabel.
Gerade in einer Zeit, in der die deutsche Demokratie seit 1949 erstmals in ihrer Geschichte ernsthaft bedroht zu sein scheint und die Grundrechte des Grundgesetzes mehr oder weniger offen von wachsenden Teilen der Gesellschaft in Frage gestellt werden, ist es, so Thomas Schnabel, dringend geboten, an die Anfänge unserer so überaus erfolgreichen Demokratie zu erinnern. Ein Rückblick auf die Jahre 1948/49 könne auch das aktuelle Krisenempfinden relativieren. Denn der Start des Grundgesetzes fiel in schwere Zeiten. Besetzung, Hunger, Not, Wohnungsmangel, Verlust geliebter Menschen uund von Heimat sowie dem eigenen Besitz prägten die die Lebenswirklichkeit. Die Sicht auf die barbarischen Folgen und Strukturen des nationalsozialistischen Größenwahns hinterließen ein moralisch und real zerstörtes Land, dass es so in der Geschichte noch nie gegeben hatte. Die vier Besatzungsmächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion bestimmten die weiteren Geschicke Deutschlands.
Zum Jahresende 1947 kam es zum endgültigen Bruch zwischen den USA und der Sowjetunion. Als Folge des Beitritts der drei Westzonen zum Marshallplan begann die deutsche Teilung konkrete Formen anzunehmen. Am 1. Juli 1948, zwei Wochen nach der richtungsweisenden Währungsreform und der darauf folgenden sowjetischen Berlin-Blockade, überreichten die drei westlichen Militärgouverneure den Westdeutschen Ministerpräsidenten mit den so genannten Frankfurter Dokumenten die Aufforderung, eine verfassunggebende Versammlung zur Ausarbeitung einer föderalistischen Verfassung einzuberufen. Die Befürchtung, damit einer endgültigen Teilung Deutschlands Vorschub zu leisten, war auf westdeutscher Seite groß, sie forderten daher einen Parlamentarischen Rat und einen lediglich provisorischen Charakter des neuen Gebildes – es sollte keine Verfassung, sondern nur ein Grundgesetz verabschiedet werden.
Ab dem 1. September 1948 trafen sich 65 von den Ländern delegierte Abgeordnete, darunter vier Frauen, in Bonn. Der fünfköpfigen liberalen Fraktion unter dem Vorsitz von Theodor Heuss kam bei Entscheidungen großes Gewicht zu. Die FDP hatte –nach Heuss- die Aufgabe, das „berühmte Zünglein an der Waage“ zwischen etwa gleich starken konservativen und linken Teilen der verfassunggebenden Versammlung zu bilden. Theodor Heuss war eine der zentralen Figuren des Parlamentarischen Rates und hat ganz maßgeblich zum Zustandekommen des Grundgesetzes beigetragen – ohne selbst Jurist zu sein. Er versuchte ausgleichend zu arbeiten und jede Polarisierung zu vermeiden. Heuss‘ wichtigste Eigenschaften waren dabei seine intellektuellen Fähigkeiten und rednerischen Gaben, seine konkrete Mitgestaltung wichtiger Bestandteile und Formulierungen des Grundgesetzes sowie seine Funktion als Vermittler, der festgefahrene Fronten immer wieder zu lockern wusste.
In seiner Abschlussrede am 8. Mai 1949 formulierte Heuss den Anspruch an eine Verfassung im Konsens mit allen beteiligten Parteien des demokratischen Spektrums wie folgt: „Es darf hier in dies Haus keiner besiegt worden sein“. Durch seine Arbeit im Parlamentarischen Rat erlangte Heuss bundesweite Bekanntheit und schuf dadurch auch die Voraussetzungen für seine Wahl zum ersten Bundespräsidenten. Theodor Heuss, so betonte Thomas Schnabel, könne auch heute noch Handlungsanleitungen geben, wie wir in Zeiten permanenter, vor allem medialer Aufregung, die Lösung für die anstehenden Probleme angehen sollten. Nicht mit Schaum vor dem Mund, sondern „ganz nüchtern und bescheiden“ (Heuss) miteinander ins Gespräch kommen. Gelegenheit dazu gab es in der anschließenden einstündigen Fragerunde und Diskussion, die Thomas Schnabel so kommentierte: „Ich habe auch selten nach einem Vortrag eine so interessante und an der Sache orientierte Diskussion erlebt“. Beim anschließenden Empfang gingen die angeregten Gespräche weiter.