Wanderkochkurse in Brackenheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Im Jahr 1873 wurde in Stuttgart der Schwäbische Frauenverein zur –wie es heißt– „Förderung höherer Bildung und Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts“ gegründet. Ziel dieses Vereins war es, Ausbildungsstätten für Frauen zu schaffen. Neben einer Töchter- und Handelsschule sowie einer Frauenarbeitsschule, eröffnete der Verein 1891 eine Kochschule, die erste Schule dieser Art in ganz Württemberg.
Hermine Kiehnle, Lehrerin und Vorsteherin der Kochschule I, gab ihre langjährige und praktische Erfahrung in ihrem 1912 veröffentlichten „Kochbuch des schwäbischen Frauenvereins“ weiter. Es enthält Rezepte für die einfache, die bürgerliche und die feine Küche. Ihr „Kiehnle Kochbuch“ wurde zu einem bis heute geschätzten Klassiker der Kochbuchliteratur.
Nicht nur in Stuttgart, auch auf dem Lande wollte der Schwäbische Frauenverein Kochkurse anbieten. Deshalb begann er 1897, Wanderkochlehrerinnen auszubilden. Drei Jahre später waren schon 14 Kochlehrerinnen in 21 Oberämtern auf Wanderschaft, um ihre Kurse durchzuführen.
Wie solch ein Wanderkochkurs ablief, lässt sich an dem sechswöchigen Kurs verdeutlichen, der 1914 in Brackenheim stattfand. Stadtschultheiß Bendel informierte Anfang Februar den Gemeinderat, dass sich die erforderliche Zahl von Mädchen gefunden habe, um den geplanten Kochkurs im Gasthaus „Waldhorn“ (heute: Die kleine Markthalle) unter der Leitung eines gewissen Fräuleins Brecht abhalten zu können. Beginnen sollte er am 17. Februar. Das Unterrichtsgeld betrug 15 Mark. Zur Bestreitung der weiteren Unkosten hoffte man. durch die Abhaltung eines Abendessens, eines Kaffeekränzchens und einer kleinen Schlussfeier wünschenswerte weitere Einnahmen zu erzielen.
Die damals 18 Jahre alte Teilnehmerin Emma Held, jüngste Tochter des Johannismüllers Karl Held, hatte in ihrem Rezeptbuch alle 37 Menüs, bestehend jeweils aus Suppe, Hauptspeise und Nachtisch, sowie Rezepte für Torten, Kuchen und Kleinbackwerk festgehalten.
Der 13. Speisezettel vom 6. März sah für ein sogenanntes Herrenessen vor: Hirnsuppe mit Klößchen, Siedfleisch, Rahmkartoffeln, Meerrettichsauce, süße und saure Beilagen, Kalbvögel, Salat, Spätzle, Apfelkuchen, Kirschkuchen und Kaffee.
Der am Donnerstag, den 19. März, veranstaltete Kaffeekranz zur Deckung der Kosten bestand aus Kaffee mit Schlagrahm, Streuselkuchen, gerührtem Gugelhupf, Mandeltorte mit Schokoladencreme sowie Kleinbackwerk.
Über die vom Stadtschultheißen angekündigte Abschlussfeier berichtete der „Zaberbote“ am 8. April 1914: „Der Kochkurs hat nun sein Ende erreicht. Zum Abschluss fanden sich gestern Abend die Eltern der Schülerinnen und sonstige hiesige Persönlichkeiten, insgesamt mehr als 50 Personen im Waldhorn ein, um nochmals eine Kostprobe zu nehmen. Herr Stadtschultheiß Bendel nahm Veranlassung, in einer Ansprache der Leiterin Frl. Brecht, den Dank der Stadt für ihre Mühewaltung und für das Geschick und Verständnis auszusprechen, mit dem sie den Kurs geleitet und die Schülerinnen in die Geheimnisse der Kochkunst eingeführt habe. Er schloss mit dem Wunsche, dass das Erlernte für die Schülerinnen in späteren Lebenslagen von großem Wert und Nutzen sein möge. Einige weitere Ansprachen im ähnlichen Sinne folgten. Verschiedene Deklamationen und Gesangsvorträge trugen dazu bei, dass der Abend einen netten gemütlichen Verlauf nahm und allgemein befriedigte.“
Der Erste Weltkrieg mit seinen Lebensmittelrationierungen sollte dem unbeschwerten Kochen bald ein Ende setzen. Die Wanderkochkurse vor dem Krieg waren für die teilnehmenden Mädchen ein prägendes Erlebnis. Nicht zuletzt zeugt davon eine im Stadtarchiv aufbewahrte Fotografie, die aus Anlass eines Wanderkochkurses entstanden ist. Das Bild zeigt die Kochlehrerin mit ihren Schülerinnen, elf junge Mädchen in weißen Schürzen, die Kochutensilien präsentieren. Es befand sich im Besitz der 1887 geborenen Tochter des Oberamtstierarztes Lina Uhland (zweite von links sitzend).