Bruno Diemer zum 100. Geburtstag
"Absolute Museumsreife": Erlesene Kabinettausstellung im Kunstverein Brackenheim
Von Leonore Welzin
Die Verehrung des Malers Bruno Diemer (1924 bis 1962) für Pablo Picasso gipfelt 1951 in einem Besuch beim Idol in Südfrankreich. Martina Kaessler, Brunos spätere Frau, erinnert sich: „Bruno hat Picasso einige seiner Arbeiten zeigen dürfen“, doch statt auf die Bilder einzugehen hat ihm der 70-jährige Picasso lediglich geraten „Machen Sie weiter so!“.
Wie er weitermachte zeigt die Gedächtnisausstellung im Kunstverein Brackenheim unter dem Titel „Bruno Diemer. Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag“; die erlesene Retrospektive, kuratiert von Dr. Giovanna-Beatrice Carlesso in Kooperation mit den Städten Brackenheim und Bönnigheim zusammengestellt, wurde just an Diemers Geburtstag, dem 24. Juli, im Gebäude des Kunstvereins Brackenheim eröffnet.
Ausgangspunkt ist ein Portrait des Vaters Erwin Diemer im Foyer der Galerie. Das Bildnis, gemalt von Wilhelm Dikel-Salvius, hing im Wohnzimmer der Familie und erinnerte – einer Ikone gleich – an den abwesenden Vater, der 1927 unerwartet gestorben war. Dr. Carlesso mutmaßt, dass es in Bruno die Lust geweckt haben könnte, selber zu malen.
„Schon als Kind bewies Bruno künstlerisches Talent. Im Alter von 14 Jahren malte er – als Geschenk für Verwandte in Meimsheim – die Aussicht auf ein Gebirgsdorf.“, erklärt Carlesso mit Hinweis auf ein kleines Ölbild. Es ist das früheste malerische Zeugnis, damit beginnt eine Würdigung aus insgesamt 21 Exponaten, ergänzt durch ein Portrait Diemers aus Terrakotta, undatiert und von einem unbekannten Bildhauer.
Diemers künstlerische Entwicklung erstreckt sich von postimpressionistischer Stilistik („Bunter Hahn“, „Knabenbildnis“, „Bönnigheim“) über die Faszination Picasso („Pfarrer Stocker“, „Mädchen mit Sternenkranz“, „Schädel“) sowie eine Reihe früher Stillleben („Spirituskocher“, „Kaktus“) und Portraits („Otto Schauer“, „Karl Diemer“, „Martina Kaessler“, „Dr. Ewald Rittberger“) bis die Auseinandersetzung mit Matisse, Schlemmer und Baumeister in abstrahierender Gegenständlichkeit mündet. Komprimiert aufs Wesentliche erzählen die späten Stillleben („Jacke“, „Krug, Gitarre und Tonpfeife“, „Krug und Baguette“) in sanften Erd- und Siena-Tönen vom kargen Künstlerleben in Paris.
Das Interesse an Diemer – der nach dem frühen Tod des Vaters mit seinem jüngeren Bruder Karl in Bönnigheim bei der Mutter aufwuchs, Kriegsabitur im Internat in Urach ablegte, eingezogen wurde, aus dem Kriegsdienst schwerkrank desertierte und schließlich in Stuttgart Kunst studierte, bevor er nach Paris ging, um dort in der Bohème der 50er-Jahre die Tänzerin Martina Kaessler (eine deutsche Pfarrerstochter) zu heiraten – ist riesig. Rund 200 Besucher sind in die Galerie gepilgert, neben Künstlern, Sammlern und Leihgebern auch die beiden Bürgermeister Thomas Csaszar (Brackenheim) und Albrecht Dautel (Bönnigheim).
Was Ausstellungen des Brackenheimer Kunstvereins auszeichnet, ist die hervorragende Recherche und kunstwissenschaftliche Expertise der Kuratorin. Dr. Carlesso ist promovierte Kunsthistorikerin und Germanistin, die mit unbändigem Wissensdurst Themen durchforstet und ihre Entdeckerfreude mit dem Publikum teilt. Ein Glücksfund ist der Film „Io amo, tu ami“ („Ich liebe, du liebst“) des Regisseurs Alessandro Blasetti, in dem Bruno und Martina Diemer untermalt von Édith Piafs „Hymne an die Liebe“, ein Liebespaar an der Seine spielen.
Andere Einblicke geben Briefe. So schwärmt Martina Diemer: „Seine Ausstrahlung war so stark, dass man gerne einen guten Preis zahlen wollte gegen einige Stunden in Gegenwart dieses schönen, merkwürdig faszinierenden, jungen Mannes“. Bruno selbst berichtet vom Besuch des Kritikers Kurt Friedrich Ertel, der „einige Bilder total zerriss“, von anderen hell begeistert gewesen sei, ihnen „absolute Museumsreife“ bescheinigt habe.
Die Ausstellung „Bruno Diemer. Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag“ ist bis zum 11. August samstags, sonntags und mittwochs jeweils von 14 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet.